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Europe Calling “Unter Druck? Kommunale Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland und Europa”
27.November 2023 19:00 - 21:00

Aufzeichnung / Zusammenfassung unten / Folien von Prof. Uslucan hier herunterladen
Liebe Freund:innen, liebe Interessierte!
Wir merken es alle. Das Thema Migration und Flucht überlagert gerade vieles und polarisiert die Gesellschaft, in Deutschland und in Europa. Manche Kommunen sprechen von “Krise” und warnen vor Überforderung. Andere Kommunen kommen gut mit der Flüchtlingsaufnahme zurecht.
Klar ist: Kommunen in Deutschland und Europa stehen vor vielen großen Herausforderungen – und die Aufnahme zu Schutzsuchenden gehört dazu. Dabei helfen Scheinlösungen nicht weiter. Es braucht Lösungen, die für die Kommunen einen echten Unterschied machen.
Deswegen werden wir bei Europe Calling einen Blick auf die Situation der Kommunen werfen. Vor welchen Schwierigkeiten stehen sie genau? Wo hat das ursächlich etwas mit der Aufnahme von Geflüchteten zu tun, wo liegen andere Ursachen? Wie kann Integration erfolgreich gelingen und was wurde z.B. aus dem Jahr 2015 und der Integration der Gastarbeiter-Generation gelernt? Was brauchen Kommunen in Deutschland und Europa heute? Und was brauchen die ankommenden Menschen? Gibt es erfolgreiche Modelle und Best-Practice-Beispiele für eine solidarische Migrationspolitik in Europa?
Das sind unsere Gäste:
- Katja Dörner, Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn und Vizepräsidentin des Deutschen Städtetages
- Miriam Koch, Beigeordnete für Kultur und Integration der Landeshauptstadt Düsseldorf, u.a. auch verantwortlich für das Migrations-Management in Düsseldorf im Jahre 2015
- Richard Reischl (CSU), Erster Bürgermeister der Gemeinde Hebertshausen im bayerischen Landkreis Dachau
- Prof. Hacı-Halil Uslucan, Migrationsforscher, Inhaber der Professur Moderne Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen und Leiter der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung
- Julia Scheurer, Leiterin des europäischen Projekts “Moving Cities – Another Migration Policy is Possible”
- Moderation: Maximilian Fries, Geschäftsführer von Europe Calling e.V.
Termin: Montag, 27.11.2023, 19:00 – 21:00 Uhr
Seid dabei und ladet andere ein!
Mit europäischen Grüßen,
Ihr und Euer Max und alle bei Europe Calling e.V.
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ZUSAMMENFASSUNG
Katja Dörner, die Bonner Oberbürgermeisterin und Vizepräsidentin des Deutschen Städtetages hat begonnen. In Bonn seien besonders der fehlende Wohnraum und kaum freie Kita- und Schulplätze ein Hauptproblem. Gleichzeitig sei die Stimmung in der Stadtgesellschaft unterstützend, sowohl in der Politik als auch bei den Bürger:innen. Für sie ist der aktuelle von Angst und hart-klingenden Vorschlägen geprägte Diskurs schädlich. Statt Lösungen, die die Kommunen nicht forderten, wie flächendeckende Zahlkarten, sollte mehr getan werden, z.B. bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse und bei der Baugesetzgebung.
Richard Reischl, der Erste Bürgermeister der Gemeinde Hebertshausen im Landkreis Dachau beschrieb, wie in seiner Gemeinde fünfmal mehr Geflüchtete aufgenommen werden als in den anderen Gemeinden des Landkreises und gleichzeitig die AfD mit ihrer Hetze das schlechteste Ergebnis im Landkreis einfährt. Hebertshausen behandelt die Menschen so, wie man sich das selbst in der Situation wünschen würde, einfach menschlich, wie er es ausdrückte. Die Betriebe in der Region suchen händeringend Arbeitsplätze und die Gemeinde stellt hier aktiv Kontakte her. Ob beim Bäcker oder Elektriker vor Ort, beim Bauen von Spielplätzen oder der Pflege von Sportplätzen. Für ihn ist das der beste Weg. Er begrüßte auch die Lockerungen bei den Arbeitsverboten und forderte hier mehr. Gleichzeitig war er sehr kritisch gegenüber der Rhetorik seiner eigenen Partei, der CSU.
Miriam Koch, Beigeordnete für Kultur und Integration der Stadt Düsseldorf, berichtete über die Situation in der Landeshauptstadt. Mit der größten ukrainischen Community in NRW seien die Herausforderungen seit dem russischen Angriffskrieg in manchen Phasen sehr hoch gewesen. Gerade die Unterbringung sei in Düsseldorf schwierig. Über 100 Liegenschaften hat die Stadt angemietet und akquiriert aktuell auch neue Flächen dauerhaft, vor allem seit Corona, leerstehende Büroflächen, um auch für zukünftige Herausforderungen gewachsen zu sein. Sie beschrieb, dass gerade 2015/2016 viel gelernt wurde und diese Strukturen jetzt wieder gut funktioniert haben. Düsseldorf sei nicht überfordert, aber ohne mehr finanzielle Unterstützung des Landes und Bundes überdehnt die Aufnahme aktuell den Haushalt. Trotzdem gäbe es einen parteiübergreifende Konsens für eine humanitäre Aufnahme.
Professor Haci-Halil Uslucan hat in seiner Präsentation (im Video/Datei wird die nächsten Tage hier verfügbar sein) den Blick auf die psychologischen Aspekte von Flucht und Integration. Beginnend mit der Sprache und Kommunikation zum Thema, die oft angst-betont ist, hin zu dem Blick auf Diskriminierungserfahrungen der Geflüchteten, aber auch in den Generationen der Türkeistämmigen. Die Ablehnung gerade von Roma-Familien und muslimischen Familien in der Aufnahmegesellschaft sei immer noch besonders hoch. Das belaste Geflüchtete zusätzlich zu den oftmals traumatischen Fluchterfahrungen auch psychosozial stark, und erschwere dadurch letztlich Integration in das Arbeitsleben, in Bildung und in der Nachbarschaft. Hier braucht es politisches Handeln, z.B. durch mehr Ressourcen für psychotherapeutische Begleitung, mehr Kenntnis und Unterstützung in Unterkünften.
Julia Scheuer vom Projekt Moving Cities beschrieb in ihrer Präsentation wie sie mit Hilfe europa-weiter Netzwerke und Fallstudien erfolgreiche, solidarische Migrationspolitik sammeln und, im nächsten Schritt, mit Kommunen und Entscheidungsträgerinnen teilen. Auch um anderen Diskurs zu stärken, der zeigt, dass solidarische Aufnahme möglich und erfolgreich sein kann. Mehr dazu hier: https://moving-cities.eu/de Als Beispiel sprach sie über Zürich, wo mit der Einführung einer stadtweiten City-ID einfach und bürokratie-arm, alle Bewohner:innen Zugang zu sozialer, städtischer Infrastruktur gewährt werden.
Klar wurde in der Diskussion: Pauschal von “Überforderung” zu sprechen, führt nicht weiter und stimmt auch nicht. Hart-klingende Maßnahmen helfen auch wenig bzw. Sind kontraproduktiv. Vielmehr forderten unsere Gäste eine lösungsorientierte Politik, die Bedarfe erfasst und zielgenau Kommunen unterstützt. Dazu gehöre auch eine Verteilung von Geflüchteten, die nicht einfach nach finanziellen Gesichtspunkten (dem so genannten Königsteiner Schlüssel) funktioniere, sondern Faktoren wie Verfügbarkeit von Wohnraum, Bildungseinrichtungen, Betreuungsplätze und Arbeitskraft-Bedarfe mit einschließt. Hier gibt es mit match’in und rematch schon spannende Ansätze, die auch z.B. künstliche Intelligenz nutzen.
Soweit bis hierher. Wenn das Euer Interesse geweckt hat, schaut auf jeden Fall in die Aufzeichnung. Da steckt natürlich viel mehr drin.
Danke auch für Euer zahlreiches Feedback: Viele haben sich sehr gefreut über den positiven, konstruktiven und lösungsorientierten Austausch – ein Kontrapunkt zur öffentlichen Diskussion zu Verschärfungen, Kürzungen und Erschweren von Teilhabe. Das hat uns sehr gefreut.
Eine wichtige Bitte: Nehmt die Informationen aus diesem Webinar und teilt sie mit anderen. Vielleicht dann bald an Weihnachten in der Familie, bei Euch in der Arbeit oder im Freundeskreis. Positive Beispiele und eine Lösungsorientierung helfen dabei, den negativen Diskurs zu überwinden. Damit gewinnen alle!